Am 18. September 2014 bekomme ich diese Email vom Bundestagspräsidenten:
Am 6. August 2014 hatte ich dem Bundestagspräsidenten diese Email geschickt:
Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre freundliche Antwort vom Dezember letzten Jahres.
Aus den Medien habe ich erfahren, dass Sie am Samstag in Wien sein werden, um an der Trauerfeier für Frau Prammer teilzunehmen.
Ich weiß, dass der Bundestag und Sie als Präsident nicht davor zurückscheuen, an unsere schwierige Geschichte zu erinnern. Dadurch wirken
Sie für ein besseres Deutschland.
An diesem Freitag um 16 Uhr wird Frau Brigitte Höfert, Tochter des im KZ Mauthausen am 28. Oktober 1944 hingerichteten Karl Rupitsch, in Goldegg im Land
Salzburg einen Gedenkstein für die Opfer des so genannten "SS-Sturms" vom 2. Juli 1944 setzen: An diesem Tag durchkämmten 1000 SS-Soldaten und 60 Gestapobeamte den Landstrich, um eine kleine
Gruppe von Wehrmachtsdeserteuren aufzuspüren. Sechs Goldegger waren nämlich entweder nicht dem Stellungsbefehl gefolgt oder gingen vom Heimaturlaub nicht zurück an die Front. Ein Deserteur (Peter
Ottino) und zwei Helfer (Alois und Simon Hochleitner) wurden bei dieser "Aktion" in Goldegg-Weng erschossen. Mit Rupitsch wurden ein weiterer Deserteur (August Egger) und zwei
Helfer (Alois Buder und Kaspar Wind) hingerichtet, ein anderer, Georg Kössner, wurde noch am 8. März 1945 in Glanegg erschossen, und der Deserteur Richard Pfeiffenberger fiel in
einer Strafkompanie. Ein Helfer und drei Helferinnen verstarben in Konzentrationslagern. Elf Frauen und acht Männer, die in dieser Sache verhaftet wurden, überlebten das
KZ. Als einzigem Deserteur gelang Franz Unterkirchner die Flucht.
Margarete Schütte-Lihotzky bemerkte rückblickend: "Wer wusste damals in Österreich und wer weiß heute, dass sich in den Salzburger Bergen ein ganzes Dorf gegen den
Krieg erhob und dafür das Leben einsetzte?"
Man könnte geneigt sein, die SS-"Aktion" in Goldegg und auch das Gedenken daran allein als österreichische Angelegenheit zu betrachten. Das wäre aber nicht
richtig.
Die Desertion richtete sich ja gerade gegen die deutsche Wehrmacht, gegen das Deutsche Reich, gegen den von Deutschland begonnenen Krieg und gegen die deutsche
Diktatur. SS und Gestapo waren verbrecherische "Institutionen" dieses Reiches. Der dokumentarisch belegte Befehl zum "SS-Sturm" kam aus dem Reichssicherheitshauptamt in
Berlin. Die Deserteure Rupitsch und Egger sowie die Helfer Buder und Wind wurden auf Anordnung von Himmler hingerichtet. Von den 14 Verstorbenen sind vier Menschen in Deutschland
gestorben, und zwar im KZ Ravensbrück, im KZ Dachau und im KZ Bergen-Belsen. Die, die das KZ überlebten, waren in Ravensbrück, Dachau, Oranienburg, Sachsenhausen, Buchenwald und Flossenbürg
inhaftiert.
Am Beispiel des SS-Standartenführers und Nazi- und Nachkriegs-Oberbürgermeisters von Wiesbaden Erich Mix ist deutlich geworden, wie schwer sich deutsche Gemeinden
immer noch mit der Aufarbeitung ihrer Nazi-Geschichte tun. Österreichischen Gemeinden, so mein Eindruck, geht es ähnlich: Frau Höfert wollte eigentlich den Stein am 70. Jahrestag, dem 2. Juli 2014,
im Hof des Goldegger Schlosses setzen, doch dazu kam es nicht. Der Presse sagte sie vor kurzem, sie sei "mit ihren Nerven und ihrer Kraft am Ende".
(...)
Sehr verehrter Herr Bundestagspräsident, Gedenken ist immer eine Aufgabe aller. Und Deutschland trägt Verantwortung auch für diese Salzburger. Ich
würde mich sehr freuen, wenn Sie in Ihren Gesprächen mit Ihren österreichischen Kolleginnen und Kollegen hier in Wien dieses Thema ansprechen könnten.
(...)
Freundliche Grüße
Soonim Shin