geschrieben am 13. Januar 2015
Im "Edathy-Untersuchungsausschuss" des Bundestages am 18. Dezember sagte SPD-Abgeordneter Burkhard Lischka gegen 20.30 Uhr, sein Büroleiter habe ihm gerade erst mitgeteilt, dass seine Rede für die Aktuelle Stunde des Bundestags zur Edathy-Affäre "zum Planungsstab gegangen wäre vorher". Auf Nachfrage des Linken-Abgeordneten Frank Tempel meinte er, er könne sich diesen Vorgang "auch nicht erklären."
Im Klartext: Der SPD-Abgeordnete Lischka, Nachfolger seines Parteikollegen Michael Hartmann als Innenpolitischer Sprecher seiner Partei, hielt im Bundestag eine Rede, die vorher der SPD-Fraktion vorgelegt worden war. Müssen SPD-Abgeordnete also ihre Reden vor ihren Auftritten der SPD-Fraktion und ihrem Vorsitzenden Thomas Oppermann vorlegen ? Und wenn ja, ist ein solcher "Vorlagezwang" mit der Freiheit der Abgeordneten und mit der Würde des Bundestags vereinbar?
Das Marie-Josenhans-Institut fragte beim Bundestag nach.
Hier die Antwort von Andrea Eriksson von der Bundestagsverwaltung (Abteilung Parlament und Abgeordnete, Unterabteilung Parlamentsdienste, Fachbereich Parlamentsrecht) vom 13. Januar, 14.13 Uhr:
Sehr geehrte Frau Shin,
mit E-Mail vom 4. Januar 2015 haben Sie sich an den Präsidenten des Deutschen Bundestages gewandt. Sie haben Bezug genommen auf die Aussage von Herrn Edathy im Untersuchungsausschuss am 18.
Dezember 2014, nach der SPD-Abgeordnete von ihrer Fraktion verpflichtet worden seien, ihre in der Aktuellen Stunde zum ,,Umgang in der Bundesregierung und im Deutschen Bundestag mit den Vorwürfen
gegen Sebastian Edathy" am 19. Februar 2014 zu haltenden Reden dem Planungsstab vorab zur Kenntnis zu geben. Nach Ihrer Auffassung stelle ein solcher ,,Vorlagezwang" nicht nur eine Verletzung des
freien Abgeordnetenmandats, sondern auch eine Verletzung der Würde des Bundestages insgesamt dar, die ein Tätigwerden des Bundestagspräsidenten gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Geschäftsordnung des Deutschen
Bundestages (GO-BT) erfordere. Ihr Schreiben ist mir zur Beantwortung zugeleitet worden.
Die fraktionsinterne Aufforderung zur Vorabinformation über den Inhalt von in einer Aktuellen Stunde geplanten Reden stellt weder eine unzulässige Einschränkung der Mandatsfreiheit noch eine
Beeinträchtigung der Würde des Bundestages dar, die ein Handeln des Bundestagspräsidenten erfordern würde:
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Aus diesem in Artikel 38 Absatz 1 Satz 1
Grundgesetz verankerten Grundsatz des freien Mandats folgt, dass jeder - auch fraktionsinterne - rechtliche, physische oder psychische Zwang, der Abgeordnete in ihrer Entscheidungsfreiheit
beeinflussen soll, verfassungsrechtlich unzulässig ist. Aus der Freiheit des Mandats folgt jedoch kein Verbot dahingehend, dass sich die Abgeordneten einer Fraktion vor einer Plenardebatte im
Hinblick auf die dort vertretenen politischen Positionen untereinander abstimmen. Es ist im Gegenteil bereits Voraussetzung für den Zusammenschluss zu einer Fraktion, dass deren Mitglieder
gleichgerichtete politische Ziele verfolgen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Fraktionen ,,not-wendige Einrichtungen des Verfassungslebens" und das politische Gliederungsprinzip für die Mitglieder des
Bundestages. Abgeordnete, die einer gleichen Partei oder Parteien angehören, die aufgrund gleichgerichteter politischer Ziele in keinem Bundes-land miteinander im Wettbewerb stehen, schließen sich zu
Fraktionen zusammen. Dadurch setzen die Fraktionen im Parlament die Aufgabe der Parteien in der Gesellschaft fort, politische Positionen zu bündeln und durch die Bildung handlungsfähiger Einheiten
auch durchzusetzen. Mit dem Zusammenschluss zu einer Fraktion verfolgen die Abgeordneten also den Zweck, die politischen Positionen ihrer Parteien im Parlament möglichst effektiv zu vertreten und
damit auch dem Willen ihrer Wähler gerecht zu werden. Die politische Handlungs- und Durchsetzungsmöglichkeiten der einzelnen Abgeordneten erweitern sich durch seine Zugehörigkeit zu einer
Frakt
ion wesentlich, dies aber nur bei einer gewissen Rücksichtnahme auf seine Fraktion und ihre anderen Mitglieder. Die effektive Durchsetzung politischer Zielsetzungen erfordert nämlich ein möglichst geschlossenes Auftreten der Fraktionsmitglieder im Parlament.
Daher vereinbaren die Abgeordneten zu Beginn einer Wahlperiode bei ihrem freiwilligen Zusammenschluss zu einer Fraktion Regeln für die gemeinsame Arbeit. Hierzu zählt auch, dass die Mitglieder
einer Fraktion üblicherweise in einem internen Prozess vor einer Plenarsitzung ihre Positionen zu einzelnen politischen Fragestellungen abstimmen und dass sich die Abgeordneten dann in der
Plenarsitzung in der Regel nach der in ihrer Fraktion mehrheitlich beschlossenen Position richten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie verpflichtet oder gar gezwungen wären, sich entsprechend der
Mehrheitsmeinung ihrer Fraktion zu äußern oder entsprechend zu votieren. Vielmehr trifft jeder Abgeordnete in jedem Einzelfall - sei es den Inhalt einer Rede oder die Art einer Abstimmung betreffend
- eine freie Willensentscheidung, für die er sich auch die Frage nach dem Für und Wider seiner Loyalität gegenüber der eigenen Fraktion stellt.
Mit freundlichen Grüßen
Im Auftrag
Andrea Eriksson
Fachbereich Parlamentsrecht -PD 2-
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
(Anmerkung des Marie-Josenhans-Instituts: Wiedergabe des Briefes wie im Original, einschließlich der Worte "not-wendige", "Bundes-land" und "Frakt ion")
(Marie Josenhans, 1855-1926, deutsche Sozialarbeiterin und Sozialpolitikerin)
Projekte für die Öffentlichkeit.
Soonim SHIN
Magistra Artium (M. A.)
Staatlich anerkannte
Diplom-Sozialarbeiterin (FH)
Kaiser-Karl-Ring 6
D-55118 Mainz
Robertgasse 1
A-1020 Wien
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